Über die Anfänge der menschlichen Spezies
Sitzung 774 vom 3. Mai 1976:
Es ist fast ein Gemeinplatz, wenn wir sagen, dass Liebende einander ohne Worte verstehen. Es gibt eine Fülle an Literatur, die sich auf die innere Kommunikation beruft, die Mutter und Kind, Bruder und Schwester und Liebende miteinander verbindet.
Die Liebe scheint die physischen Sinne zu schärfen, so daß selbst die kleinsten Gesten zusätzliche Bedeutung erhalten.
Mythen und Sagen entstanden, denen zufolge Liebende einander verbunden bleiben und Erfahrungen austauschen, obwohl der eine Partner tot, der andere noch am Leben ist.
Das Erleben der Liebe vertieft auch die Freude am Augenblick, auch wenn es die Kürze der sterlichen Erfahrung zu betonen scheint. Obgleich der Liebesausdruck den Augenblick hell erleuchtet, trägt diese momentane Helligkeit eine Intensivität in sich, die sich der Zeit widersetzt und irgendwie ewig ist.
In eurer Sicht der Welt identifiziert ihr euch nur mit euch selbst, aber die Liebe kann die Identifikation in einem Ausmaß erweitern, daß der innerste Gedanke eines anderen Menschen zu einem bedeutsamen Teil eures eigenen Bewußtseins wird.
Mit euren Augen schaut ihr hinaus in die Welt in einer gewissen Weise aber auch durch die Augen des anderen. Es stimmt deshalb zu sagen, daß ein Teil von euch mit dem geliebten Partner geht, wenn er unabhängig von euch durch den Raum schreitet.
In einem unterschiedlichen Ausmaß gilt dies auch für die Tiere. Bei vielen Tierarten können wir beobachten, daß es dem einzelnen Tier nicht nur um sein persönliches Überleben, sondern auch um das seiner "Familienmitglieder" geht. In einer Gruppe von Tieren ist sich jedes Individuum der Situation des anderen bewußt. Der Ausdruck der Liebe ist nicht auf eure Spezies begrenzt, genausowenig wie jener der Zärtlichkeit, der Treue oder des Verantwortungsgefühls.
Die Liebe verfügt w i r k l i c h über ihre eigene Sprache, eine im Grunde nichtverbale, von tiefen biologischen Zusammenhängen getragene Sprache. Sie ist die ursprüngliche Grundsprache, aus der alle anderen Sprachen, die ihr als solche bezeichnet, erst hervorgegangen sind, denn jede Sprache dient einfach den natürlichen Qualitäten, die der Sprache der Liebe eigen sind:
dem Wunsch, zu kommunizieren, sich schöpferisch zu entfalten, zu erforschen und mit dem Geliebten vereint zu sein.
(Lange Pause) Gönnt und einen Augenblick . . . Nach euren historischen Begriffen fühlte sich der Mensch zuerst eins mit der Natur und liebte sie, da er sie als Erweiterung seiner selbst betrachtete, auch wenn er sich als einen Teil ihres Ausdrucks empfand. Indem er sie erforschte, erforschte er auch sich selbst. Er identifizierte sich nicht nur mit sich selbst, denn wegen seiner Liebe identifizierte er sich auch mit all jenen Teilen der Natur, mit denen er in Berührung kam. Diese Liebe war biologisch in ihm eingepflanzt, und sie gehört heute noch zur biologischen Ausrüstung des Menschen.
Physisch und psychisch ist die menschliche Spezies mit der gesamten Natur verbunden.
Der Mensch lebte weder in Angst, wie heute angenommen wird, noch in einem idealisierten natürlichen Himmel. Er lebte auf einem intensiven Höhepunkt psychischer und biologischer Erfahrung und freute sich seiner schöpferischen Erregung, die in diesem Sinn nur damals existierte, als die menschliche Spezies noch neu war.
Dies ist schwer zu erklären, denn diese Konzeption existiert jenseits jeder Verbalisierung. Einige s c h e i n b a r e Widersprüche müssen notgedrungen auftauchen. Im Vergleich mit jener Zeit werden die Kinder heute uralt geboren, da sie auch biologisch die Erinnerungen ihrer Vorfahren in sich tragen. In jenen urtümlichen Zeiten erwuchs die Menschheit selbst, nach den B e g r i f f e n jener Zeiten neu aus dem Schoß der Zeitlosigkeit in die Zeit.
(Lange Pause). Neuer Absatz: In einem tieferen Sinn dauert ihre Existenz immer nocht fort, auch wenn sie sich in allen Richtungen erweitert. Eure bekannte Welt ist e i n e Entwicklung in der Zeit, die einzige, die ihr anerkennt.
Die menschliche Spezies schlug tatsächlich auch viele andere Wege ein, die in eurer Geschichte nicht festgehalten sind. An diesem "Punkt" kommt es zu einer immer neuen Kreativität.
(Eine von vielen langen Pausen). In eurer bekannten Zeitrechnung erlebte die Menschheit ihr Selbst am Anfang ganz anders, als ihr dies heute tut. Da diese Erfahrung eurer heutigen Sicht der Welt so fremd ist und da sie sich vor der Sprache ereignete, wie ihr diese erfahrt, ist sie äußerst schwer zu beschreiben.
In eurer Erfahrung ist das Selbst im allgemeinen von der Natur isoliert und vor allem in eurer Haut eingeschlossen. Der frühe Mensch fühlte sich nicht wie eine leere Muschel, denn sein Selbst existierte genauso außerhalb seines Körpers wie innerhalb davon. Es bestand eine ständige Wechselwirkung. Man kann leicht sagen, daß sich diese Menschen, sagen wir, mit Bäumen identifizieren konnten. Aber es ist etwas ganz anderes, erklären zu wollen, wie es für eine Mutter war, zu einem Teil des Baumes zu werden, unter dem ihre Kinder spielten, so dass sie ihnen v o m S t a n d p u n k t
d e s B a u m e s a u s folgen konnte, obwohl sie selbst weit weg war.
Das Bewußtsein ist viel mobiler, als ihr glaubt.
Der Schwerpunkt eures Bewusstseins liegt vor allem im Körper. Ihr könnt subjektives Verhalten nicht "von außen" erfahren.
Damit bleibt die natürliche Mobilität des Bewußtseins, welche zum Beispiel die Tiere behalten haben, für euch psychologisch unfaßbar.
Ihr denkt gern in einheitlichen Begriffen und Definationen, und selbst wenn ihr euer Bewußtsein betrachtet, denkt ihr an ein "Ding" oder eine Einheit - ein unsichtbares Etwas, das vielleicht von unsichtbaren Händen gehalten werden kann.
Statt dessen ist Bewußtsein eine besondere Seinsqualität. Jeder Teil von "ihm" schließt das Ganze mit ein. Was also euch betrifft, könnt ihr theoretisch gleichzeitig im Körper und außerhalb des Körpers sein. Ihr seid euch kaum solcher Erfahrungen bewußt, weil ihr sie nicht für möglich haltet, und es scheint euch auch, daß ein Bewußtsein, besonders wenn es individualisiert ist, an diesem oder jenem Platz sein müsse.
Ich versuche, dies möglichst einfach auszudrücken: Ein Vogel muß ein Nest haben, auch wenn er es oft verläßt und nie sich und seinen Nistplatz durcheinander bringt. Dies habt aber ihr sozusagen getan, obwohl euer Körper beseelter ist als das Nest des Vogels.
In jenen früheren Zeiten war das Bewußtsein also mobiler.
Die Identität war gleichsam demokratischer. Eigenartigerweise bedeutet dies nicht, daß die Individualität schwächer war. Sie war vielmehr stark genug, um in ihrem Bereich viele divergierende Erfahrungen zuzulassen. Wenn ein Individuum in die Welt der Bäume, Gewässer und Felsen, der Flora und Fauna hinaussah, fühlte es buchstäblich, daß es materialisierte subjektive Bereiche des persönlichen Selbst anschaute.
Diese äußere Welt zu erforschen hieß, die innere zu erkunden. Wenn ein solcher Mensch durch einen Wald ging, fühlte er sich auch als ein Teil des inneren Lebens eines jeden Felsen und Baumes, der sich materialisierte. Und doch widersprachen sich die Identitäten nicht.
Ein Mensch konnte sein Bewußtsein mit einem Bach oder Strom verbinden und so meilenweit reisen und das Land erforschen. Dabei wurde er zu einem Teil des Wassers in einer Art Identifikation, die ihr kaum verstehen könnt - aber so wurde das Wasser auch zu einem Teil des Menschen.
Es fällt euch nicht schwer, euch vorzustellen, wie Atome und Moleküle Objekte bilden. In gleicher Weise können sich auch Teile des identifizierten Bewußtseins mischen und verbinden und in diesem Verbund existieren.